Foilà mon afis zur la guezdion bour dout tire :
Irgendwie denkt jeder über sich selbst und die Welt nach. Und er redet darüber mit anderen Menschen. Das Denken und Reden kann sich um das alltägliche Leben drehen. Es kann zuerst einfache Zusammenhänge widerspiegeln und herstellen. Manchmal dreht es sich scheinbar ewig im Kreis wie das wirkliche Leben. Manchmal muß es abrupte Störungen verkraften. Manchmal erzeugt es auch selber welche. Aus den einfachen Zusammenhängen werden längere Assoziationen. Das Gedächtnis merkt sich eh nur die wichtigsten Gedankenstränge und läßt das weg, was unwesentlich wird. Wir lernen, daß es einige Regeln gibt, mit denen wir von bekannten Sachverhalten auf unbekannte schließen können und nennen das dann Logik.
Jeder einzelne Mensch geht diesen Lebens- und Erkenntnisweg; große Menschengruppen entwickeln gemeinsame Lebensweisen und Denkmodelle und -methoden.
Niemand ist jemals ganz am Ende aller Möglichkeiten seines Lebensweges angekommen und immer gibt es etwas Neues kennenzulernen. Auch das schon Bekannte verändert sich unter unserem Blick und unseren vorwärtsschreitenden Füßen.
Beim Gehen setzen wir einen Fuß vor den anderen. Am Anfang stehen wir mit beiden Beinen auf heimatlich gewordenem, bekannten Boden. Der Schritt nach vorn beginnt mit der Loslösung. Ein Fuß riskiert den Schritt ins Unbekannte. Die Füße trennen sich. Erst der nächste Schritt läßt uns wieder mit beiden Beinen fest im Leben stehen. Das früher Unbekannte, Fremde wird unser neuer Standpunkt.
Dieses Bild berücksichtigt noch nicht einmal, daß auch die Grundlage, auf der wir laufen, nichts Statisches, Unveränderliches ist. Dauernd verändert sich dieser Untergrund.
Beides, das Wirken des Untergrundes, wie auch unser Handeln sind ständig im Fluß. "Alles fließt" erkennt der Grieche Heraklit Die der indischen Yogapraxis zugehörige Samkhya-Denkweise betont das Zusammenspiel von Wirken(lassen) und Handeln.
Diese Wechselwirkungen in der Realität wie auch im Denken wurden in der Philosophiegeschichte schon lange implizit in den Argumentationen verwendet. Besonders deutlich fielen immer immer wieder die sich abwechselnden Polaritäten auf:
Auch die Vorstellung, daß aus einer ursprünglichen Einheit etwas aus sich herausgeht, um (zeitlich oder logisch) später wiederzukehren, ist alt (z.B. bei den Neuplatonikern).
Die Sachverhalte oder Aussagen an den Enden der Pole unterscheiden sich grundsätzlich voneinander und wirken gegensätzlich aufeinander ein.
Während Immanuel Kant die Ursache für dialektische Widersprüche in der Vernunft sah, die eine Logik des Scheins aufbaue, verknüpfte Johann Gottlieb Fichte bereits Denk- und reale Prozesse. Er beschrieb metatheoretisch zum erstenmal ausführlich die sich systematisch schrittweise abwechselnden Teilverfahren wie Reflexion-Abstraktion und Analyse-Synthese. Die Wahrheit kommt erst dann näher, wenn nach einem ersten Schritt (These) der zweite Schritt (Anti-These) diesen negiert/relativiert, bis danach die Wahrheit als Synthese erscheint. Diese Dreischritt-Dialektik ist nur eine sehr, sehr verkürzte, oft irreführende Widergabe des Prinzips der Dialektik. Das krampfhafte Festhalten an der Dreischrittigkeit durch Schelling und Hegel führte zu sehr schematischen Einordnungen natürlicher Zusammenhänge in das vorgegebene Denkmuster.
Schelling contra Hegel?
In der Substanz haben Schelling wie Hegel viel mehr zur Dialektik beigetragen.
Ausgehend vom Prinzip, daß die Freiheit das A und O der Philosophie sein müsse, begründete Friedrich Wilhelm Joseph Schelling eine dynamische Denkweise, in der das vorausgesetzte grundlegende Prinzip nur ein Un-Bedingtes (also nur durch Freiheit Wirkliches) sein konnte. Dieses Un-Bedingte, Unendliche wurde später zum Identischen, zum Absoluten (und zur Substanz, zu Gott). Es umfaßte - im Gegensatz zu Fichtes absolutem Ich - auch die Natur. Die absolute Freiheit wurde von Schelling als absolute Produktivität in das Natur- und Menschenbild eingearbeitet. Unendliche Produktivität - damit sie sich nicht wirkungslos ins Unendliche ergieße - muß aber begrenzt werden von einer durch sich selbst erzeugten Entgegensetzung. In dieser Differenz, diesem Wechsel entsteht etwas, das nur im Wechsel bestehen kann: das Produkt. Schelling sieht in dem Bewegten das Grundlegende und erklärt die stabilen Produkte aus dem Wechselverhältnis von drei Urmomenten: den zwei Widerstreitenden und einem Integrierenden.
Für Schelling gibt es die Identität nur in Form des Wechselverhältnisses getrennter Momente - aber die getrennten Momente bleiben immer Momente der Identität. Er betont selbst, daß nicht die Trennung der Momente an sich Disharmonie wäre, sondern eher die falsche Einheit derselben (wie bei einer musikalischen Disharmonie). Das Weltbild Schellings beinhaltet einen großen Kreislauf, bei dem sich das außer aller Zeit befindliche Absolute (= Gott oder Substanz) affirmiert und dabei die endlichen Dinge in-Existenz-bringt. Das ist notwendig, weil das Unendliche im Absoluten nur in der zeitlichen Reihenfolge als endliche Produkte sich realisieren können. In der Realisierung kehren sie schließlich zurück ins Absolute. Jedes Produkt enthält in sich etwas Unendliches (die Seele) und die menschliche Einbildungskraft kann einen Weg zu ihm erschließen.
Georg Wilhelm Hegel baut auf Schellings Modell auf. Im Unterschied zu Schelling ist für ihn nicht alles Ein Identisches mit einem einheitlichen Wesen für die ganze Welt, sondern er betont, daß aus der Widersprüchlichkeit etwas Neues mit völlig anderen Qualitäten und auch Wesensmerkmalen entsteht. Auch für ihn gibt es etwas Absolutes, das als Ziel am Ende aller Bewegungen steht, und das sich in der Bewegung aller Dinge/Gedanken selbst bewegt/verwirklicht. Die Zwischenschritte sind bei ihm allerdings anders gedacht. Auch die Methode der Selbst-Bewegung (des Denkens, das für ihn auch die Bewegung der Dinge ist) beschreibt er detaillierter als Schelling.
In der ursprünglichen Identität (These) wird zuerst ein Unterschied gesetzt. Diese Trennung zwischen Einem und seinem Anderen (Antithese) ist eine verstandesmäßige Reflexionsleistung. Während der einfache Verstand an diesen Trennungen festzuhalten pflegt (Isolierung, Festwerden der Gegensätze), muß dann die höhere Vernunft die neue, höhere Einheit der Gegensätze finden. Festgewordene Gegensätze in der Bewegung aufzuheben ist die Aufgabe der Reflexion der Reflexion.
Für das sich Bewegende ist die Setzung des Anderen die erste Negation, die dann aber nicht so stehen bleiben darf, sondern wieder negiert werden muß: erst die Negation der Negation erreicht eine neue Einheit. Oder noch anders gesprochen: In der ersten Negation wird das sich Bewegende sozusagen von außen angesehen und es wird (vom Verstand) festgestellt, daß ihn ihm noch etwas Anderes ist. (Jedes Bestimmte ist eine Negation, stellte schon Spinoza fest: Alles, was eine Bestimmung hat, ist zumindest nicht eine andere Bestimmung, die es auch immer gibt: Eine Wiese ist eine Wiese dadurch, daß sie nicht der umgebende Wald oder Teich usw. ist. )
Die zweite (vernünftige) Negation behält zwar bei (bewahrt es auf, hebt es auf), daß die Wiese nicht der Wald oder Teich ist. Sie weiß aber mehr: Sie schaut die Verstandesreflexion sozusagen von innen- aus dem Gegenstand selbst heraus - an: die Wiese ist nicht der Wald, weil auf ihr Gras und Blumen statt großer Bäume wachsen und so weiter. Das ist wieder eine qualitative Aussage über die Wiese selbst. Die zweite Negation ermöglicht also eine gleichzeitige Aussage über Unterschiede und die Qualitäten der Identität. Die Einheit von Unterschied und Identität erst ist der Witz HEGELscher Dialektik.
Wenn die ursprüngliche Identität durch die Unterscheidung hindurchgegangen ist, ist sie nicht mehr dieselbe wie vorher. Es hat eine Veränderung stattgefunden: im Geist (wie es Hegel erforschte), oder auch in der materiellen Realität, die sich ebenfalls dialektisch bewegt (siehe "Daß nichts bleibt, wie es ist...").
Die Unterschiede zwischen Schelling und Hegel sind nicht zu übersehen. Während bei Schelling die Triebkraft der Bewegung in dem vorausgesetzten Absoluten (denn nur dies ist die natura naturans, deren Produktivität heute so gern bei Schelling gefunden wird und womit er Hegel meist vorgezogen wird) liegt, bekommt bei Hegel jedes Bestimmte selbst die Kraft zur Selbstbewegung. Daß diese Selbstbewegung auch bei Hegel letztlich in ein höchstes Absolutes mündet und nichts wirklich offen läßt, ist seiner Systematik geschuldet. Bei Schelling jedoch tauchen auch wesentliche (!) Unterschiede nicht auf, weil er die Identität letztlich überbetont und in ihr nur unwesentliche Potenzunterschiede zulassen kann. Über die Maßüberschreitung bei Qualitäts- oder gar Wesensänderungen, die ja heute angesichts der Erkenntnisse aus den Selbstorganisationskonzepten so wichtig sind, hat er noch gar nichts gewußt.
Deshalb ist die Hegelsche Dialektik eine Weiterentwicklung der Schellingschen. Auch diese Entwicklung ist dialektisch: Schellingsche Denkansätze sind wesentlich bei Hegel enthalten, aber bei ihrer Negation auch weitergeführt worden.
Ganzheitsbrei oder Integration des Differenzierten?
Die Darstellung von Dialektik ist wahrlich nicht gerade leicht verständlich. Ein moderner Autor, Ken Wilber, greift ihre Inhalte auf und erläutert sie auf seine Weise: Die ursprüngliche Identität, in der sich noch keine Unterschiede herausdifferenziert haben, nennt er "Fusion". Eine Veränderung, ein Über-sich-hinauswachsen ist dann die "Transcendence" durch Differenzierung und Trennung des Differenzierten. Danach wird das Differenzierte neu integriert, wobei alle vorherigen Schritte einbezogen, umfaßt (inclusion) werden. Diese Unterscheidung ist für ihn weltanschaulich äußerst wichtig:
Angesichts des Leidens unter Trennungen (zwischenmenschlich, zwischen Menschen und Natur, in sich selbst) sucht der Mensch Heilung in Ganzheiten. Wenn er jetzt zurückflüchtet in alte Fusionen, ist ihm nicht geholfen. Er muß die Differenzierungen neu integrieren. Jeder Schritt ist dabei unweigerlich mit Verlusten verbunden, muß "bezahlt" werden mit der Aufgabe früherer Integrationen, die für den nächsten Schritt lediglich Fusionen sind. Typisch für Wilbers Diskussion ist die sich darauf beziehende Unterscheidung von prä-personalen, personalen und trans-personalen Zuständen des Menschseins im Individuellen wie auch im Kollektiven. Der personale Zustand betont das isolierte Ich. In der absoluten Einsamkeit jedoch wird eine heimatliche Ganzheit gesucht. Das könnte die lockende Ur-Einheit (im mütterlichen Schoß, oder in der Urgesellschaft) sein. Vle Ökologen und New-Age-Esoteriker meinen oft diese Fusionen, wenn sie Ganzheiten anstreben. Ken Wilber analysiert Meditationspraktiken aus der ganzen Welt und stellt fest, daß diese in ihren besten Formen keine Flucht in diese Fusionen darstellen, sondern über das Personale in das Transpersonale als neue Integration hinausweisen wollen. Um Menschen dafür zu überzeugen, muß er sich mit anderen "leichten" Meditationsformen auseinandersetzen. Verbunden ist die Auseinandersetzung mit weltanschaulichen Fragen über Evolution. Während die Fusions-Meditierer i.a. alle Evolutionsschritte von der Gartenbaugesellschaft oder der Jäger- und Sammlerhorde hin zum modernen Menschen als Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts und Verlust menschlicher Werte ablehnen, sieht Wilber darin notwendige Entwicklungsschritte in Richtung des Transpersonalen.
Ken Wilber sieht also die Rückkehr in eine Einheit als Vorwärtsschreiten, nicht als geschlossenen Kreis. Zusammen ergibt das eher die Form einer Spirale. Eine Rückkehr aus der Trennung in die undifferenzierte Fusion bliebe im Flachen, im "Flatland". Das Transpersonale liegt dagegen auf einer anderen Ebene.
Ebenso hatte auch Schelling nicht die Differenzierung und Trennung an sich als Problem angesehen, sondern eher die falsche Einheit (Disharmonie). Dies unterscheidet die Dialektik von der heute modernen Anbetung der Ganzheitlichkeit.
Prinzipien der Dialektik
Die dialektische Weltbewegung läßt nichts unberührt. Wenn sie etwas zerstört, nimmt sie es in anderer Form mit auf ihrem Weg ("Aufheben" als "außer Kraft setzen", smiley 22 aber auch als "aufbewahren"). Alle ausdifferenzierten Momente integrieren sich immer wieder neu und es werden neue Momente gebildet, die wiederum in einer neuen Synthese zusammenfließen.
Auch im Denken werden alle früheren Momente mit in die neuen Denkmodelle übernommen. Daher kommt eine Art Selbstsicherheit, die allerdings berücksichtigen muß, daß die Synthese niemals eindeutig erfolgt, sondern nur eine Variante in einem vorherigen Möglichkeitsfeld realisierte. Zu beachten ist immer ein jeweils größerer Weltbereich, als der gerade in Betracht gezogene. Niemals erwächst eine Antithese aus dem reinen Denken (denn die These war nicht nur "falsches" oder "irriges" Denken, sondern für sich die zutreffende Darstellung eines bestimmten, deshalb begrenzten Bereiches!). Erst aus neuen praktischen Zusammenhängen heraus reifen die Gegensätze, die Widersprüche, bis hin zur Überschreitung der Grenzen .
* Da die Dialektik (nach Hegel) ihre Dynamik erst aus der Negierung von Bestimmtem gewinnt, kann sie kein allgemeines Schema sein, sondern ist nur auf Konkretes bezogen sinnvoll.
* "Im Allgemeinen" herrscht oft die Macht des Realen - Hoffnungen auf Neues bleiben ohnmächtig. Sie können ihre Kraft erst aus der bestimmten Negation schöpfen, nicht aus irgendeinem Allgemeinen.
* Durch die Reflexion der Reflexion soll dabei der Gedanke von jeglicher Willkür befreit werden, die Bewegung der Sache selbst soll in den Blickpunkt kommen (Marx: "... die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes... fassen.")
* Auch dies unterstützt die Selbstsicherheit dialektischen Denkens - wobei akzeptiert werden muß, daß die "Eigentümlichkeit" eben auch eigentümliche Möglichkeitsfelder (objektive Zufälle und Wahlalternativen und Entstehung von Neuem) offen läßt!
Die grundlegenden philosophischen Fragen nach dem Verhältnis von Einem und Vielem werden in der Dialektik zusammengeführt mit den Fragen von Widersprüchlichkeit, Bewegung und Entwicklung. Einheiten realisieren sich nur in Entwicklungsprozessen, weil sie nur als Einheit widersprüchlicher Momente existieren können und die Widersprüche als Triebkräfte der Bewegung wirken. Nicht eine statische Identität, die alle Unterschiede zudeckt ist die wahre Totalität, sondern gerade die dynamische Identität von Unterschied und Identität.
Die Totalität ist nicht ein Ganzes durch absolute Harmonie ohne Gegensätze - sondern gerade durch ihre Widersprüche. Diese Gegensätze im richtigen Licht (der Eigentümlichkeit der Sache entsprechend) zu sehen, ist Aufgabe des dialektischen, vernünftigen Denkens, das über den lediglich isolierenden, abstrahierenden Verstand hinausgeht. Deshalb ist Dialektik nicht lediglich eine mehrwertige, mathematische Logik, sondern geht über diese verstandesmäßige Reflexion hinaus.
Die dialektische Totalität kennzeichnet Bereiche der Welt (auch im Denken), die untereinander und in sich verschiedene Zusammenhangsformen zu realisieren (dialektischer (!) Determinismus), die deshalb strukturiert ist durch die Beziehungen ihrer Momente, die ständig und immer wieder neue qualitative und Wesensmerkmale erzeugt und Entwicklungszyklen realisieren (Herbert Hörz).